Über Sam
Über das Sammeln
Warum beginnt ein in Haifa Geborener, der über keine österreichischen Wurzeln verfügt, österreichische Judaica zu sammeln?
Vielleicht liegt es daran, dass ich sehr früh in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien tätig wurde und es mir ein besonderes Anliegen war, in Wien wieder eine jüdische Gemeinde zu errichten.
Mit dem Plan, in Wien wieder eine jüdische Infrastruktur aufzubauen, welche auch das historisch-materielle Kulturgut im Hinblick auf jüdische Kultgegenstände, die Wiedereröffnung eines Jüdischen Museums und allem voran das Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde umfasste, erwuchs mein Interesse für Wiener Judaica, wobei jedes Objekt auch ein Teil der Geschichte repräsentiert.
Da es den Institutionen finanziell kaum möglich war, diese in der ganzen Welt verstreuten Kultusgegenstände, Bücher und Archivalien zu erwerben und nach Wien zurückzubringen war es mir ein Anliegen im Kleinen als Privatsammler einzuspringen und langsam eine Sammlung mit diesem Schwerpunkt aufzubauen. Jüdische Ritualobjekte reflektieren neben der Historie zu Kultusgemeinden und jüdischen Familien oder Künstlern auch eine Formensprache und eigene Ikonographie, häufig mit geografischen Spezifika.
Mein Sammlungsfokus liegt auf Objekten aus dem österreichungarischen Raum, wobei einige Besonderheiten aus anliegenden Regionen die Sammlung ergänzen. Meine systematische Sammelleidenschaft begann jedoch mit den Büchern zu jüdischen Themen, von jüdischen Autoren und zur Zeitgeschichte. Dieser Sammlungsbestand umfasst auch österreichische Rabbinica sowie Hebraica die vor 1848, den Anfängen der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien bzw. in Österreich gedruckt wurden. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten später jüdische Ex Libris, Synagogenpostkarten sowie eine Ephraim Moses Lilien-Sammlung.
Konstant blieb mein Hauptanliegen der Sammlung – Zeugnisse jüdischen Lebens in Österreich aufzuspüren und in ihre Heimat zurückzuführen, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben.
Ariel Muzicant
Über Judaica
Judaica gehören in jene Kategorie der Kunstgeschichte, die heute unter dem Begriff „jüdische Kunst“ subsumiert wird. Sie widerspiegeln immer die Ästhetik der Umwelt und der Zeit, in der sie geschaffen wurden, sie widerspiegeln aber auch immer die eigene traditionsgebundene Ästhetik, die der spezifisch jüdische Kult mit sich bringt. Insofern machen jüdische Kultobjekte die Schnittstellen zwischen Umgebungskultur und jüdischer Tradition sichtbar. Die Judaica-Sammlung Ariel Muzicant spiegelt im Besonderen die Bandbreite jüdischer Geschichte im Habsburger Reich mit Wien als Zentrum wider.
Die ausgewählten Objekte zeigen die Entwicklung der Wiener Judenschaft vom Toleranzpatent Joseph II. aus dem Jahr 1782, über die Errichtung des Stadttempels, die Schaffung des „Wiener Ritus’“, die Konsolidierung der Israelitischen Kultusgemeinde, über Emanzipation und Gleichstellung, die florierende Gemeinde in der zweiten Hälfte des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bis hin zu ihrer Zerstörung durch die Schoa.
Felicitas Heimann-Jelinek und Daniela Schmid
Über die Sammlung
Die Sammlung der Zeremonialobjekte bezeugt die große Liebe und Hingabe der diversen Gemeindemitglieder, in großen wie auch kleinen, reicheren oder verarmten Gemeinden, welche die Herstellung von so bedeutendem Tora-Schmuck ermöglichten. Weiters erkennt man eindeutig den Kunststil des jeweiligen Landes, was auf eine kulturelle Integration der jüdischen Gemeinden schließen lässt. Gleiches gilt für die Architektur der Synagogen in allen verschiedenen Ländern wie aus der Postkartensammlung so eindeutig sichtbar wird.
Die Sammlung der Edikte, die einen weiteren Sammlungsbestand von Ariel Muzicant darstellt, vermittelt uns einen Einblick in den Überlebenskampf der jüdischen Gemeinden. Es war fast alles verboten oder nur unter extrem unfairen Bedingungen erlaubt. Wie konnte man wirtschaftlich und kulturell überleben?
Die faszinierende Ex Libris Sammlung ist Beweis einer kaum nachvollziehbaren, im wahrsten Sinne des Wortes unfassbaren Breite an gesammelten Büchern in den Bibliotheken der intellektuellen jüdischen Oberschicht.
Wieviel mehr an Fortschritt im Bereich der Wissenschaft hätte es gegeben, wenn die Besitzer dieser Bücher ihre Kinder in Ruhe und Sicherheit hätten großziehen können und das intellektuelle Schaffen nicht durch Emigration oder Deportation behindert oder beendet worden wäre.
Die Bedeutung Wiens als Mittelpunkt jüdischen Lebens, Hauptaugenmerk der Sammlung Ariel Muzicant, wird nicht zuletzt daran erkennbar, dass die Wiedergeburt Israels als nationale Heimat des jüdischen Volkes im zionistischen Wien Theodor Herzls und seiner Vereine seinen Ursprung nahm, was durch eine Vielzahl an Archivalien der Sammlung belegt ist.
Michael Scheinowitz